Im Herbst 2018 fühlten wir uns zu einer Öffnung für neue Mitwirkende bereit. Die Prioritäten setzen wir auf Menschen mit einer Ausbildung oder Erfahrung in Landwirtschaft. Doch das Leben wollte etwas anderes.
von Karin Christina
Kaum aufgeschaltet, erhielten wir schon die erste Anfrage auf unsere Ausschreibung «Landwirt/in mit Pioniergeist und Gemeinschaftssinn» auf «Terre de Liens». Dies war der Beginn einer über den ganzen Winter dauernden Phase von Begegnungen mit Menschen; von Erwartungen, Freude, Hoffnungen, Enttäuschungen, Überraschungen und vor allem: Lernen über uns selbst.
Der Kennenlern-Prozess sachlich aus dem Kopf formuliert …
… und als Mensch erlebt
Das telefonische Erstgespräch übernahm Herbie. Ich war froh darüber, denn telefonieren auf Französisch ist nicht grad meine Stärke. Manchmal erwischte mich trotzdem eine BewerberIn. Dann war es interessant auf die Stimme zu hören: Wie klang sie? Was erzeugte sie für ein Bauchgefühl? Wie fühlte ich mich nach der kurzen Begegnung?
Beim Lesen des Motivationsschreibens und des Lebenslaufes, versuchte ich mit mir im Kontakt zu bleiben und mich nicht von dem Geschriebenen ablenken zu lassen. Vieles habe ich auch überfolgen, denn ich hatte oft schnell einen ersten «Eindruck». Etwas das in mir angeklungen hat oder eben nicht. Es war einfach ein Gefühl.
Bei der persönliche Begegnung während des ersten Treffens war ich meistens aufgeregt. Wer ist nun dieser Mensch, der da kommt, von dem ich mir bereits ein Bild machte? Entsprach dieses Bild meinem Gefühl? Es war schön, dass es immer wieder aufs Neue ein Überraschungs-Moment gab. Das Bild das ich mir machte entstand aus mir, isoliert von einem Du. In der Begegnung mit einem Menschen kommt etwas dazu. Das was entsteht ist immer etwas Neues. Ich kann da nichts vorwegnehmen, nur immer wieder lernen, mich auf den Moment der sich ergibt, einzulassen. Je offener ich für einen Menschen bin, desto mehr erfahre ich von ihm – und auch über mich.
Und eben weil ich versuchte, mich immer wieder aufs Neue zu öffnen, war der ganze Prozess mit dem Kennenlernen neuer Menschen auch ermüdend. Es war so, dass all diese Menschen auch mir und der Gemeinschaft etwas aufzeigten: Nämlich wo wir stehen. Viele Fragen, die sie uns stellten warfen wiederum in der Gruppe Fragen auf, die wir uns noch nicht beantwortet hatten. Also war es, neben den Menschen die zu uns kamen, auch eine Zeit verstärkter Meinungsbildung innerhalb der Gruppe.
Die Bedenkzeiten waren so etwas wie ein Zwischenraum. Ein Innehalten, wie eine Atempause. Da fühle ich mein Herz deutlicher. Im Kennenlern-Prozess erlebte ich die Bedenkzeiten als Wendepunkte. Manchmal war ich erleichtert oder enttäuscht, dass jemand absagte oder ich freute mich über ein Ja für einen weiteren Schritt mit uns.
In diesen 6 Monaten kam es nur zu einem «Kennenlern-Monat». Und zwar mit der Familie, die jetzt zu uns gestossen ist. Rückblickend waren es für mich vorallem die Gefühlsebene und Intuition, und der intensive Erfahrungsaustauch innerhalb der Gruppe – eben über genau diese Ebenen – die tragend bei unseren Entscheidungen waren. Die Zeit mit all den Menschen hat mich gelehrt auf eine andere Sprache, oder Stimme zu hören – nämlich die, die hinter den Worten und Gesten spricht, die nicht nur mit dem Individuum sondern auch mit der «Gruppenseele» kommuniziert.
Was das Leben will
Ich möchte diese Zeit nicht missen, auch wenn sie bisweilen anstrengend war. Ob wir bei einer nächsten Erweiterung wieder so vorgehen werden, weiss ich nicht. Wir waren auf der Suche nach Menschen in Erfahrung mit Landwirtschaft oder LandwirtInnen. Das war unsere Idee. Der Kopf betrachtete unsere Situation und sagte: Wir brauchen Menschen für die Landwirtschaft. Von den etwa 20 Menschen, die uns kontaktiert hatten, entsprachen etwa 3 unserem Profil in der Ausschreibung. Die anderen hatten einige Praktikas, wollten ein Leben im Einklang mit der Natur, Neuorientierung im Leben oder eben auch pädagogische Projekte umsetzen. Ich glaube, das Leben hat nicht auf das geantwortet, was wir in unseren Köpfen trugen, was sozusagen «bewusst» war. Sondern auf das was uns als Gemeinschaft noch «unbewusst» oder einfach «Potenzial» ist. Auch wir haben dem Leben geantwortet und ja gesagt zu den Menschen, die jetzt Teil unserer Gemeinschaft werden.