Miteinander Leben in Neuer Form

Gemeinschaftskultur

Sprechstein, Entscheidungsfindung, Strukturen – nicht immer ist es einfach die richtigen oder eben neue Formen zu finden und sich auf diese einzulassen.

von Karin Christina

Gesprächskultur

Es ist nicht immer einfach, zueinander zu finden, Entschlüsse zu fällen, mit denen alle leben können. Emotionen die hochgehen, durcheinander sprechen, einander das Wort abschnei... eine gute Gesprächskultur will gelernt sein. Zuhören und immer wieder mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen im Kontakt bleiben ist eine Kunst und die Voraussetzung für gewaltfreie Kommunikation.

 

Welche Hilfsmittel verwenden wir?

  • Redestein: diejenige die sprechen will nimmt den Stein zu sich und legt in anschliessend wieder in die Mitte
  • Die Hand heben: Derjenige der etwas zu sagen hat, hebt die Hand und kommt dann zu Wort.
  • Von sich selber, also in Ich-Form, sprechen. Regina hat es mal ungefähr so ausgedrückt: «Wenn man sagt: du hast ... du bist ... du machst, (tu as, tu es, tu fais), dann kommt das an wie ein Besetztzeichen ‹tu, tu, tu›». Der Gesprächspartner nimmt dann nicht mehr wahr was gesagt wird und hängt sprichwörtlich ab – falsch verbunden, besetzt – désolée. Oder, was auch häufig vorkommt: er reagiert emotional.
  • Gesprächszeit begrenzen, aufs Thema zurückführen

So viel mal zur Theorie

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir alle oft emotional reagierten oder überreagierten und Einzelne den Gesprächskreis verliessen. Das ist menschlich. Was uns reagieren lässt, sind unbewusste Anteile und Verletzungen, die wir aus frühen Jahren und vergangenen Erfahrungen davon getragen haben. Dann reicht manchmal ein Wort und das Fass überläuft. Was mich weiterbringt ist: mir über die eigenen Schatten-Anteile bewusst zu werden, lernen Dinge nicht persönlich zu nehmen und zu realisieren, dass auch das Gegenüber Verletzungen mit sich herumträgt. Ich bin froh, dass wir mittlerweile eine Vertrauensbasis geschaffen haben, wo ich mitteilen kann wie es mir geht und was ich denke und fühle.

 

Trotz aller guten Wegleitungen, braucht es der Wille an sich selbst zu arbeiten, sich mit seinen Ängsten zu konfrontieren und Verantwortung für seine Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen – kurz, lernen selbstverantwortlich für sich zu sorgen.


Entscheidungsfindung

Immer mal wieder taucht die Frage auf, wie wir Entscheidungen fällen. Als Grundlage haben wir die Soziokratische Gesprächsmoderation gewählt. Vieles davon ist noch neu für uns, denn im Gegensatz zur basisdemokratischen Abstimmung zählen hier die Argumente die zu einer Meinunsbildung beitragen. Der Weg zum Entscheid ist der Konsent – nicht zu verwechseln mit Konsens.*

 


Wie strukturieren wir unsere Treffen?

  • Wir beginnen mit einer kurzen Stille. So stimmen wir uns aufeinander ein und sammeln uns als Gruppe.
  • Anschliessend tragen wir die Themen zusammen und bestimmen den Zeitrahmen.
  • Dann kommen die Informations- und Meinungsbildungsrunden, und wo nötig, werden Entscheide getroffen und protokolliert.
  • Wir beenden unsere Treffen meistens wieder in Stille

 

*Konsens bedeutet: Die Entscheidung ist getroffen, wenn alle dafür sind. Konsent bedeutet: Die Entscheidung wird getroffen, wenn nichts mehr dagegen spricht. D.h. wenn alle mit einem Entscheid leben können ohne dumpfen Gefühle im Bauch oder einer Faust im Sack.

 


Strukturen?

Auch das ist oft eine Frage, die vor allem von Aussenstehenden – Besuchern und Interessenten – gestellt wird. Vielfach stellen sie fest, dass sie keine Strukturen feststellen, welche unseren Alltag bestimmen. Ehrlich gesagt – ich auch nicht. – Zumindest keine, die wir irgendwo niedergeschrieben hätten.

 

Klar strukturiert sind wir auf der Ebene unserer 3 Gesellschaften – der SCI, die das Anwesen kaufte, der Association Colletif, dem Betreiberverein – und der SCEA unserem Landwirtschaftsbetrieb. Jedoch was das Zusammenleben betrifft gibt es niemanden der uns sagt, wie wir unseren Alltag zu gestalten hätten.

 

Wir, die hier als Pioniere diese Gemeinschaft aufbauen, bestimmen auf Grundlage unser Ethik-Charta, in welche Richtung wir gehen. Oder, wie wir es in einem Punkt der Ethik-Charta formuliert ist: «Die Gemeinschaft gestaltet sich aus sich heraus.»

 

Vertrauen in das Leben

Dieses «Aus-sich-selbst-heraus-Gestalten» bedeutet das Vertrauen in den Prozess – letztendlich das Vertrauen in das Leben und eine hohe Eigen- und Mitverantwortung. Was mir gar nicht so leicht gefallen ist. – Zumindest als ich noch in der Schweiz in den Vorbereitungen für dieses Projekt steckte. Ich wollte alles klar strukturieren, möglichst viele Eventualitäten abklären und entspechend festhalten. Und dann, als ich hier in Montgrenier angekommen bin, wurde vieles davon hinfällig. Ich erlebte, wie angedachte Strukturen einfach nicht griffen oder sich Lösungen für vermeintliche Probleme einfach so ergaben. Z.B. ein Kochplan: Dieser funktionierte knapp eine Woche und trotzdem – wir essen sehr gut, und haben meistens 2 warme Malzeiten am Tag.

 

Das Leben strukturiert uns

In der Zeit, als wir viele Gäste hatten, setzten wir einen adhoc-Kochplan auf. Das war den Umständen entsprechend sinnvoll. – Wir gehen mit den Anforderungen, die aus einer Situation entstehen. Das heisst: das Leben hilft uns, die Struktur zu finden, die am besten zu uns passt. Es ist nicht etwas das wir erdenken können und dann erwarten, dass sich das Leben nach unseren Strukturen richtet. Nein es ist umgekehrt. Wir gestalten die Strukturen – oder eben uns selbst als Gemeinschaft – aus den Erfahrungen des Lebens. – Was letztendlich auch zur Gemeinschaftsbildung führt ...

Gemeinschaftsbildung

… denn eine Gemeinschaft ist ebenfalls eine Struktur, die aus gemeinsamen Erfahrungen gebildet ist.

 

Es gibt viele Bücher von Menschen die Erfahrung in und mit Gemeinschaften haben. Ich lasse mich gerne inspirieren von Erfahrungen und Ideen anderer – man muss das Rad schliesslich nicht neu erfinden. Jedoch prüfe ich, inwiefern ich die Erkenntnisse aus Erfahrungen anderer für mich übernehmen kann. Manches hilft mir eine Dynamik oder einen Prozess innerhalb der Gruppe besser zu verstehen. Doch in der Umsetzung gilt es Formen zu finden und zu entwickeln, die uns entsprechen. Was ich hier erfahre, ist:

 

Was wir gemeinsam erleben bringt uns näher zusammen.

Eine gemeinsame Aktivität wo Körper, Geist und Seele berührt werden ist für mich etwas vom Kraftvollsten, was zur Gemeinschaftsbildung beiträgt.

  • Gemeinsam einen Olivenbaum pflanzen | Zum Einweihungsfest am 4. Februar pflanzten wir gemeinsam einen Olivenbaum
  • Aktionstage | auf den Feldern, im Garten, im Haus: beim Jäten von Unkraut, setzen von Kartoffeln, säen von Feldern, putzen der Häuser
  • Wöchentliche Meditation
  • Gemeinsam singen, musizieren und tanzen
  • Ausflüge in die Umgebung
  • systemische Aufstellungen | Anfangs Oktober führte uns Beat Stroo (der Aufsteller)  ein Wochenende lang durch systemisch durch die verschiedenen Aspekte des Gemeinschaftslebens. Es war ein fruchtbares Wochenende mit vielen Anstössen und Einsichten.

Die Gemeinschaft zeigt mir den Ort, wo ich im Moment stehe.

Letztendlich erfahre ich das Gemeinschaftsgefühl so stark, wie ich bereit bin, mich auf die Gemeinschaft einzulassen, mich zu öffnen, miteinander und aneinander zu wachsen. Dass ich fähig werde, mich zu öffnen – für mich selbst, das Leben und die Gemeinschaft – liegt in meiner Verantwortung. Ich bin dankbar für die Spiegel, die mir von der Gemeinschaft, oder von einzelnen gezeigt werden auch wenn's manchmal schmerzhaft ist.


Die Gemeinschaft in Zahlen

11

Menschen zogen zu Beginn des Jahres nach Montgrenier

4

sind im französischen Jura, in der Schweiz und in Deutschland in den Startlöchern, besuchen uns oft für Wochen oder Monate, helfen uns wo sie nur können mit Rat, Tat und viel Herz

2

haben andere Wege eingeschlagen und die Gemeinschaft verlassen

1

wird nächsten Sommer weggehen

5

haben interesse an der Gemeinschaft und befinden sich im gegenseitigen Kennen-Lern-Prozess: eine Junge Familie mit 2 Kindern aus Frankreich, ein Paar im mittleren Alter – urprünglich aus Deutschland leben aber in Frankreich und eine Junge Frau – eine ehemalige Volontärin – aus Belgien



Einen Kommentar schreiben …

Commentaires: 0